Alltag in den Brockis

Wer sucht, der findet

Die Blaukreuz-Brockenhalle Basel der Stiftung Jugendsozialwerk bietet gut erhaltene Waren zu günstigen Preisen. Brocki-Fans finden hier überraschende Kostbarkeiten.

«In der Brocki findet man alles, wenn man will», sagt Nelly Brülhart-Meyer (79) und bringt auch sofort ein Beispiel: Eine Freundin vermisste zu ihrem Silberbesteck die passenden kleinen Löffel. Nelly Brülhart ging in die Blaukreuz-Brockenhalle und fand sie.

Edle Möbel für gross und klein
Ihr ganzes Haus ist mit Brocki-Waren eingerichtet, zum Beispiel mit edlen Louis XV-Stühlen. Heute konzentriert sie sich aber eher auf Miniatur-Gegenstände für Puppenstuben. «Mein Mann und ich waren wie Jäger und Sammler», erzählt sie weiter. Leider ist ihr Mann vor einiger Zeit gestorben. Aber statt sich zu Hause zu vergraben, besucht sie wie früher mit ihrem Mann regelmässig die Blaukreuz-Brockenhalle.

Mit Mitarbeitenden per Du
Hier kennt sie jeden Mitarbeitenden und ist mit fast allen per Du. «In den Brockenhallen sind die Menschen einfach etwas anders, offener», meint sie. Ladenhüter sucht man in der Brocki hingegen vergebens: «Die Waren wechseln rasch. Wenn man etwas sieht, das einem gefällt, sollte man zugreifen!» Schmunzelnd erinnert sie sich an eine seltsame Maschine, die ihr technik-interessierter Mann heimbrachte. Schliesslich stellte sich heraus, dass es ein Gerät zum Stechen von Ohrlöchern war. Es gibt wirklich nichts, das man nicht in der Brocki findet.

 

Blaukreuz-Brockenhallen schaffen neue Perspektiven

Die Blaukreuz-Brockenhallen Reinach und Muttenz verkaufen nicht nur günstige Waren von guter Qualität. Sie unterstützen auch Stellensuchende auf ihrem Weg zurück in den Arbeitsmarkt.

Selim (30) merkte schon bald, dass er sich wohl für die falsche Ausbildung entschieden hatte. Er zog zwar seine Informatik-Lehre durch. Aber auch im Arbeitsalltag wurde es nicht besser. Die vielen Stunden vor dem Bildschirm strengten ihn sehr an. Der Beruf war ihm zu abstrakt. Er sehnte sich nach einer Arbeit mit Menschen.

Selim fiel in ein tiefes Loch und war unmotiviert. Bei jeder neuen Stelle stellte er fest: Nein, das geht nicht. „Ich kam nicht mehr vom Fleck!“ Sein Tag-Nacht-Rhythmus verschob sich. Keine gute Voraussetzung für Bewerbungsgespräche. Schliesslich rutschte er in die Sozialhilfe.

Nützliche Informatik-Lehre
Aber dann kam die Wende: „Bei einem Gespräch erwähnte meine Sozialarbeiterin die Blaukreuz-Brockenhalle. Sie erzählte mir, dass man dort auch mit Büchern arbeitet. Das interessierte mich.“ Selim konnte an einem Programm für Arbeitsintegration teilnehmen und wurde prompt Chef der Bücherabteilung. Trotz anfänglichem Lockdown gab es viel zu tun. „Ich konnte sogar mein Informatikwissen sinnvoll anwenden und leitete andere Mitarbeitende beim Online-Verkauf der Brocki-Waren an.“ Zu seinen jetzigen Aufgaben gehören das Aussortieren beschädigter Bücher, das Sortieren nach Kategorien und natürlich die Beratung der Kunden.

Welche Bücher sind denn am meisten gefragt? „Krimis! Viele bringen die Bücher nach dem Lesen auch wieder zurück, so dass wir sie noch einmal verkaufen können. Für sie sind wir praktisch eine Bibliothek.“ Kein Wunder bei den günstigen Preisen!

Brocki für einen guten Zweck
Neben der Arbeit erhält Selim auch arbeitsintegrative Unterstützung, die ihm hilft, eine neue berufliche Perspektive zu entwickeln. Das morgendliche Aufstehen ist zwar immer noch eine Herausforderung. Aber wenn ihm die Arbeit Spass macht, fällt es ihm leichter, pünktlich zu sein. Eine grosse Motivation ist, dass der Gewinn der Brockis an die Offene Jugendarbeit der Stiftung Jugendsozialwerk geht. Denn er interessiert sich für eine Ausbildung in Sozialer Arbeit. Um herauszufinden, ob dieser Weg der richtige ist, macht er ein Praktikum in einem Wohnheim des Jugendsozialwerks.

Kunden der Blaukreuz-Brockenhallen Muttenz und Reinach ermöglichen Menschen wie Selim, eine neue Perspektive für ihr Leben zu gewinnen.

Dank der Brocki zurück in den ersten Arbeitsmarkt

Die Blaukreuz-Brockenhallen Reinach und Muttenz sind viel mehr als ein Verkaufsort. Hier bekommen Menschen, die sich in einer schwierigen Phase befinden, eine Chance im Leben wieder Fuss zu fassen. Sie werden von spezialisierten Fachpersonen unterstützt.

Jannik Simon steht kurz vor dem Abschluss seines Studiums in Sozialer Arbeit und Sozialpädagogik. Den praktischen Teil seiner Ausbildung absolviert er in der Blaukreuz-Brockenhalle Reinach, ein Bereich der Stiftung Jugendsozialwerk. «Ich begleite Klienten auf Stellensuche die von Sozialdiensten oder von der IV zugewiesen werden. Jeder Klient bringt einen bewegten Lebenslauf mit», erklärt Jannik.

Fehler sind erlaubt
In der Brocki arbeiten die Mitarbeitenden und die Teilnehmenden gemeinsam: Sie betreiben den Laden, holen Möbel ab, räumen Wohnungen und bieten Umzüge an. «Als Sozialpädagoge leiste ich Hilfe zur Selbsthilfe und schaffe für unsere Klienten eine Arbeitsumgebung, welche den individuellen Bedürfnissen angepasst ist. Hier sind auch Fehler erlaubt.»  Ursprünglich absolvierte der 29-jährige eine vierjährige Schreinerlehre. Bereits als Lehrling engagierte sich Jannik in Jugendlagern und Vereinen. Er lernte die Arbeit mit Menschen lieben und entschloss sich, Soziale Arbeit zu studieren.

Das Leben neu gestalten
Neben der alltäglichen Brockiarbeit sucht er gemeinsam mit den Klienten nach Möglichkeiten, den Tag sinnvoll zu strukturieren und unterstützt sie in ihrem Bewerbungsprozess. «Es geht vor allem darum, Menschen am Rand der Gesellschaft wieder zu integrieren und sie dabei zu unterstützen, dass sie ihr Leben neu gestalten.»Es fällt Jannik nicht immer leicht, sich von den Problemen seiner Klienten abzugrenzen. Aber wenn er an die zufriedenen Gesichter jener Teilnehmenden denkt, die in ihrem Leben einen Schritt weitergekommen sind, dann weiss er, dass er in der Sozialen Arbeit seinen Traumberuf gefunden hat.

Wie Davide in der Blaukreuz-Brocki seine Stärken entdeckte

Fast wäre Davide in seiner Einsamkeit versunken. Die Arbeit in der Brocki half ihm, seine Stärken und Schwächen zu entdecken und seinen Traumberuf zu finden.

In seiner ruhigen Art ordnet Davide die Elektrogeräte, die eben ein Brocki-Besucher abgegeben hat. Der 28-Jährige untersucht, ob der CD-Player noch richtig funktioniert und wechselt ein Kabel beim alten Radio aus. Seit rund sieben Monaten arbeitet der gelernte Elektriker in der Blaukreuz-Brockenhalle Muttenz.

Davide stammt aus Apulien, dem «Absatz» Italiens, tief im Süden. Er wuchs auf dem Land in einfachen Verhältnissen auf. Nach seiner Ausbildung als Elektriker wollte er sich weiterbilden und begann Informatik zu studieren. Kurz vor den Abschluss-Prüfungen brach er das Studium ab. Er spürte, hier bin ich am falschen Platz: «Ich hatte das Gefühl, dass die Informatik mich nicht mehr erfüllt und empfand das Bedürfnis, etwas anderes für mich zu finden.»

Pause von der Welt

Etwa zur selben Zeit trennten sich seine Eltern. Vater und Mutter zogen weg. Davide blieb zurück im Haus seiner Kindheit, das auf einmal so still war. Ein ganzes Jahr vergrub sich Davide in dem Haus. «Ich machte Pause von der Welt», erklärt er.  Er war vollkommen ratlos, was er mit seinem Leben anfangen soll, brach alle Kontakte zu seinen Freunden ab und lebte wie ein Einsiedler.

Kein Deutsch – keine gute Arbeit

Ein Onkel von Davide wohnt in Basel. Er hörte von seiner Einsamkeit und lud ihn in die Schweiz ein. «Er sagte zu mir, du hast so viel Potential. Mach was draus. Das motivierte mich.» Ohne ein Wort Deutsch zu können, machte sich Davide auf nach Basel. Mangels Sprachkenntnissen konnte er nur auf dem Bau arbeiten. «Mein Lebenslauf machte nicht viel her, ich hatte hier keinen Wert, war sehr traurig und betete jeden Tag für eine Veränderung», schildert Davide seine damalige Situation.

Über einen Bekannten kam er in Kontakt mit der Blaukreuz-Brockenhalle Muttenz. Sein Engagement und sein Wille, zu lernen, überzeugte den Brocki-Leiter Andreas Stocker: Davide konnte ein Praktikum machen. Drei Wochen vor dem offiziellen Arbeitsbeginn half er bereits aus, weil zu viele Aufträge und zu wenig Mitarbeiter da waren.

«Ich wurde erwachsen»

Neben ganz praktischen Sachen wie dem Führen eines Warenlagers, Ordnung halten oder dem Verteilen der Arbeit auf die Mitarbeiter lernt Davide auch sehr persönliche Dinge. Er wird mit seinen Stärken und Schwächen konfrontiert. «Ich wurde erwachsen, übernahm Verantwortung und lernte, mich selbst zu motivieren.»

Günstige Möbel und Training für Stellensuchende

Die Brocki bietet nicht nur günstige Möbel und Kleider an, sondern auch Training für Menschen, die schon lange arbeitslos sind. Die Gründe dafür sind vielfältig. Oft hängt die Arbeitslosigkeit mit einem schweren Schicksalsschlag zusammen oder es steckt eine psychische Erkrankung dahinter. Die Zusammenarbeit ist nicht immer einfach. Aber Davide hat gelernt, damit umzugehen: «Wenn jemand schlecht drauf ist, lasse ich mich nicht mehr runterziehen. Ich bin unabhängig von der Stimmung anderer.»

Jetzt startet Davide durch: Er möchte die Schweizer richtig verstehen, um integriert zu sein. Er nutzt jede Gelegenheit, um Deutsch zu lernen. Denn Davide hat ein grosses Ziel: eine Ausbildung in sozialer Arbeit. Und wie geht sein Leben weiter? «Eine eigene Familie, ein Zuhause», sagt er, und weiter: «Ich habe den Eindruck, jetzt bin ich angekommen.»